Der Wurm und sein wunderschöner Misthaufen

Einige Menschen möchten einfach nicht sorgenfrei leben. Wenn ihnen ihre eigenen Probleme schon nicht reichen, stellen sie den Fernseher an und regen sich über das Schicksal erfundener Gestalten auf. Viele Leute halten Angst für etwas ungeheurer Anregendes und konsumieren Leid als gute Unterhaltung. Diese Menschen wollen nicht wirklich glücklich sein, denn sie hängen an ihrer Bürde.

Zwei Mönche, die ihr ganzes Leben lang befreundet gewesen waren, starben und wurden bald darauf wiedergeboren. Der erste fand sich als „Deva“- ein göttliches Wesen- in einer himmlischen Welt wieder, doch sein Freund begann das neue Leben als Wurm in einem Misthaufen. Der Deva wusste das noch nicht. Er sehnte sich nach seinem alten Freund und fragte sich, wo der wohl seine Wiedergeburt erlebt hatte. In seiner eigenen himmlischen Welt konnte er ihn nicht entdecken, also suchte er die anderen himmlischen Reiche ab. Doch auch hier fand er keine Spur seines lieben alten Freundes. Unter Zuhilfenahme seiner himmlischen Kräfte weitete er seine Suche auf die Menschenwelt aus, doch auch das war vergeblich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Freund als ein Tier wiedergeboren worden sein sollte, aber sicherheitshalber fahndete er auch in der Tierwelt nach ihm. Da er ihn auch hier nicht fand, gab er sich einen Ruck und stieg in die unterste Welt hinab, in die der Kriechtiere. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er, dass sein Freund als Wurm in einem widerlich stinkenden Misthaufen ein neues Leben begonnen hatte!

Das Band der Freundschaft ist so stark, dass es oftmals den Tod überwindet. Der Deva fühlte sich verpflichtet, seinen Freund aus einer so unglückseligen Wiedergeburt zu befreien- ganz gleich, welches Karma ihm dieses Los bestimmt hatte.

Also tauchte er vor dem ekelhaften Misthaufen auf und rief: “ Hallo, Wurm! Erinnerst du dich an mich? In unserem früheren Leben waren wir beide Mönche und sehr eng miteinander befreundet. Ich bin in eine wunderschöne himmlische Welt wiedergeboren worden und sehe zu meinem Entsetzen, dass du in diesem widerlichen Misthaufen lebst. Aber sorge dich nicht, denn ich kann dich in mein herrliches himmlisches Reich mitnehmen. Komm mit mir, mein lieber alter Freund!“

Der Wurm steckte das Köpfchen aus dem Misthaufen und begutachtete den Deva misstrauisch. “ Moment mal“, sagte er mürrisch“. “ Was ist denn so großartig an dieser „himmlischen Welt“, von der du da schnatterst? Ich fühle mich sehr wohl in meinem duftenden, warmen, leckeren Misthaufen und habe keine Lust, ihn zu verlassen, vielen Dank.“

“ Du hast ja keine Ahnung!“, rief der Deva und beschrieb dem Wurm in allen Details die Schönheiten und Freuden des Himmels.

„Gibt es denn da auch Mist?“, fragte der Wurm, der genau wissen wollte, woran er war.

„Natürlich nicht!“, versetzte der Deva empört.

“ Dann bleibe ich hier“, erklärte der Wurm mit Bestimmtheit.

„Hau ab!“

Und er grub sich tief in den Misthaufen ein. Der Deva überlegte, dass der Wurm die ganze Sache besser begreifen würde, wenn er den Himmel selbst erleben könnte. Also überwand er sich, steckte seine weiche Hand tief in den widerwärtigen Misthaufen und fahndete nach dem Wurm. Als er ihn gefunden hatte, zog er das widerstrebende Kriechtier sanft heraus.

„He, lass mich in Ruhe!, brüllte der Wurm. “ Hilfe! SOS! Ich werde entführt!“ Und der kleine schleimige Wurm ringelte und wehrte bis er sich dem Griff des Deva entwunden hatte und wieder auf seinen Misthaufen gefallen war. Schnell buddelte er sich so tief wie möglich ein, um nicht wieder gefangen zu werden. Der warmherzige Deva tauchte seine Hände abermals in den stinkenden Dung, ergriff den Wurm ein zweites Mal und versuchte ihn herauszuziehen. Er hatte es beinah geschafft, doch da der Wurm mit schleimigem Dreck überzogen war und sich heftig wehrte, gelang ihm die Flucht ein zweites Mal, und diesmal zog er sich noch tiefer in seinen Misthaufen zurück.

Der Deva versuchte einhundertacht Mal den armen Wurm aus seinem grässlichen Misthaufen herauszuführen, doch der Wurm war nicht willens, von dem ekelhaften Dung, in dem er lebte abzulassen und kämpfte sich immer wieder in die Scheiße zurück.

Letztendlich gab der Deva auf. Er kehrte in seine himmlische Welt zurück und überließ den Wurm seinem „herrlich duftenden Misthaufen“.